Gerettet!

Die Glocke, Dezember 1987, 41. Jg.

„Ob ich wohl mit dir rechnen darf?“

Ein Bericht von Elisabeth Motschmann

Brasiliens Kinder leben im Elend, ohne Hoffnung, ohne Zukunft Im „Centro“ lernen die Kinder wieder lachen; Hütten ohne Hoffnung: Elendsviertel „Santa Fé“ am Rande der brasilianischen Stadt Caxias; in Jaboatao leben die Ärmsten der Armen am Rande von Mülldeponien; Erwachsene warten den ganzen Tag auf den Müllwagen, der vielleicht noch etwas Eßbares oder sonstwie Brauchbares ablädt; links unten: Trotz bitterer Armut ist die Familie von Universino Camargo da Luz intakt – eine Seltenheit in Santa Fé
„Ich möchte einen Platz, wo ich spielen kann; ich möchte das Lächeln von jemandem, der lieben kann; ich möchte einen Vater, der mich fest umarmt; ich möchte einen Kuß und die Liebe der Mutter. Ich möchte das Recht, Kind zu sein, und die Hoffnung sein für eine bessere Welt; ich möchte wie ein Mensch aufwachsen; ich möchte eine veränderte Welt; ob ich wohl mit dir rechnen darf?

Betroffen blicke ich auf eine Gruppe brasilianischer Kinder, die dieses Lied voller Inbrunst vortragen. Auch ohne ihre portugiesische Sprache zu verstehen, begreife ich, wovon sie singen. Jedes einzelne Kindergesicht spiegelt den Inhalt des Liedes wieder, das sie von Ordensschwestern in einer Kindertagesstätte und Schule gelernt haben. Diese Einrichtung trägt den Namen „Centro de Promacao do Menor Santa Fé“ und befindet sich im Süden Brasiliens, im Bundesstaat Rio Grande do Sul, mitten in einem der unzähligen Slums (Favelas) des Landes.

Die Kinder wissen, wovon sie singen. Ihr „Zuhause“ sind Elendshütten im Stadtteil „Santa Fé“ am Rande der Stadt Caxias.

Santa Fé ist eine illegale Siedlung, den Bewohnern gehört der Grund und Boden nicht. Man nennt sie die „Landlosen“. Viele von ihnen wanderten mit großen Hoffnungen vom Land in die Stadt. Auf dem Land konnten sie nicht bleiben, weil ihnen die ohnehin schon kleinen Höfe der Väter durch Erbteilungen keine Existenz mehr sichern konnten. In der Stadt finden sie keine Arbeit. Dies ist in der Regel der Beginn des Elends von vielen Millionen Familien in Brasilien. Die erbärmlichen Behausungen in Santa Fé sind aus Plastik-, Holz- und Blechresten zusammengehämmert.

Dem Elend Auge in Auge gegenüber

Nur eine notdürftige Wasserversorgung ist gewährleistet, doch das Wasser kommt unaufbereitet aus einem Stausee, ist dreckig und schlecht. Keine Müllabfuhr, keine Kanalisation, als Folge Insekten, Bakterien, Würmer. Die Armut und das Elend in diesen Hütten schnüren mir die Kehle zu. Die Not dieser Menschen übertrifft alles, was ich darüber bisher gewußt habe. Hier stehe ich dem Elend Auge in Auge gegenüber – stumm, ohnmächtig, hilflos.

„Ob ich wohl mit dir rechnen darf?“ hatten die Kinder in dem winzigen Klassenraum gesungen. Gibt es überhaupt einen Weg aus dieser Not, frage ich mich während eines Rundgangs durch die Favela mit Schwester Regina von der Tagesstätte. „Verlassen Sie in Santa Fé nicht das Auto, das wäre sehr gefährlich“, hatte man uns an der nahegelegenen Tankstelle gewarnt. Die katholische Ordensfrau lächelt, sie kenne diese Angst nicht, niemals sei ihr etwas zugestoßen, seitdem sie für diese Ärmsten der Armen arbeite.
Man gewinnt den Eindruck, als wisse sie über jede Familie im Slum Bescheid. Kein Wunder, daß die Ordensfrau in ihrer schlichten weißen Tracht überall herzlich empfangen wird. Aus den Hütten laufen ihr Kinder zu, hängen sich an ihren Arm oder klettern auf den Arm, wollen gestreichelt und geküßt werden.

„Ich möchte jemanden, der lieben kann…“ hieß es in dem Lied. Schwester Regina kommt diesem Wunsch nach. Sie erklärt, mit welchen Schwierigkeiten sie in dem Elendsviertel zu kämpfen hat.

Ohne soziale Absicherung von Arbeitslosigkeit betroffen

Die Ehen in den Hütten sind zerrüttet oder kommen gar nicht erst zustande. Viele Mütter leben mit ihrer großen Kinderschar allein, verlassen vom Mann bzw. Vater. Die Männer wechseln von einer Frau zur anderen. Viele Kinder haben daher keinen Vater, ja kennen diesen noch nicht einmal. Wiederum verstehe ich, warum es in dem Lied der Kinder heißt: „Ich möchte einen Vater, der mich fest umarmt.“

Das zweite große Problem im Slum ist die hoffnungslose Arbeitslosigkeit. Männer und Frauen sind davon gleichermaßen betroffen, ohne jede soziale Sicherung. Die wenigen, die einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, verdienen monatlich als Ungelernte den brasilianischen Mindestlohn von ca. 2000 Cruzados (umgerechnet ca. DM 80,-). Auch dieser Lohn reicht natürlich nicht aus, um eine Familie zu ernähren.

Die Folgen dieser Situation sind Hunger, Unterernährung, insbesondere bei den Kindern, und zahlreiche Krankheiten. Auffallend sind die verschiedensten Hauterkrankungen, die unbehandelt bleiben und jung und alt plagen. Besonders bedrückend sind die äußeren Anzeichen von Unterernährung bei den Kleinsten: aufgequollene Wasserbäuche, dünne Arme und Beine, Entwicklungsstörungen. Alle fünf Minuten tötet der Hunger fünf Kinder in Brasilien.

„Die Last ist größer als unsere Kraft“, klagt der Erzbischof von Porto Alegre, Dom Claudio Colling, in einem Gespräch und weiter sagt er: „Ich bin so enttäuscht von der brasilianischen Politik, daß ich keinem Politiker mehr etwas glaube.“ Diese Worte eines eher konservativen Seelsorgers, der ganz sicher nicht zu den kämpferischen Systemveränderern des Landes zählt, stimmen nachdenklich. Eine „Theologie der Revolution“ lehnt der Erzbischof ab, eine „Theologie der Befreiung“ hält er für notwendig. Dabei denkt er an die „Befreiung des Herzens“. „Wir müssen den Menschen von innen ändern, sonst ist alles umsonst“, betont der 74jährige Erzbischof.

Mit Schwester Regina betrete ich die Hütte der 24jährigen Teresinha. Sie hat bereits vier Kinder, aber keinen „festen“ Mann. „Seitdem die Gemeinde mir eine Hütte gebaut hat, kommen die Männer gern zu mir“, erklärt sie fast stolz. Freundlich bittet sie mich hereinzukommen. Auf der kleinen Feuerstelle kocht sie schwarze Bohnen, die landesübliche Mahlzeit der Ärmsten. Neben dem Herd steht ein einfaches Bett, das einzige Bett für die ganze Familie. Teresinha schlägt eine Decke zurück. Darunter liegen zwei Kinder, 2 und 3 Jahre alt, beide unterernährt, sie können noch nicht laufen, kraftlos dösen sie vor sich hin, ohne jede Lebenschance.

„Wir müssen den Menschen von innen ändern, sonst ist alles umsonst“

83% der brasilianischen Kinder sind unterernährt, 13 Millionen sind körper- und geistig-behindert. Zwei davon liegen vor mir. Bedrückt verlasse ich die menschenunwürdige Behausung.

Unser Weg führt uns in die Hütte von Universino Camargo da Luz und seiner Frau Oledina. Sie gehören zu den ganz wenigen Ehepaaren im Slum, die sogar kirchlich getraut sind. Beide haben fünf Kinder im Alter von 3 bis 14 Jahren. Auch hier ist der Vater arbeitslos. Verzweifelt sucht der arbeitswillige und als fleißig bekannte Mann jede nur mögliche Gelegenheitsarbeit, um seine große Familie zu ernähren. Er ist gelernter Tischler und kam vor 9 Jahren aus Barracao, 180 km von Caxias entfernt, nach Santa Fé

Alles Geld wird für Lebensmittel gebraucht

Er verdient noch nicht einmal einen Mindestlohn von 2000 Cruzados. Allein seine fixen Kosten machen ihm zu schaffen: 52 Cruzados im Monat für das Grundstück. 130 Cruzados für das Gas, 21 Cruzados für Strom. Der Strom wird für die einzige Glühbirne in der Hütte gebraucht.

„Noch nie habe ich auch nur ein einziges Kleidungsstück für meine Familie gekauft“, erklärt der 36jährige Vater. Alles, was er gelegentlich verdient, wird für Lebensmittel gebraucht.
Wie froh ist er, daß drei seiner Kinder in der katholischen Tagesstätte untergebracht sind, dort gut ernährt und unterrichtet werden. 600 Kinder betreuen die Ordensschwestern insgesamt, 366 haben deutsche Paten, die durch einen monatlichen Beitrag von DM 50,- die Ausbildung in der Tagesstätte ermöglichen. Das Geld wird von der „Kindernothilfe Duisburg“ an eine 1979 gegründete evangelische Organisation, AMENCAR (AMPARO AO MENOR CARENTE – Hilfe dem bedürftigen Minderjährigen), geleitet. Diese unter stützt verschiedene Einrichtungen für Kinder im ganzen Land, davon 62 Wo katholische Projekte, 7 % lutherische, 31 % sonstige. 35218 brasilianischen Kindern wird auf diese Weise eine kleine Chance für die Zukunft gegeben. Insgesamt gesehen ein Tropfen auf den heißen Stein, und doch sind diese Kinderdörfer, Heime, Schulen, Tagesstätten und Krippen kleine Inseln der Hoffnung – nicht mehr und nicht weniger.

In Santa Fé schildern uns die Ordensschwestern ihre Probleme bei der Alphabetisierung der Kinder. Mit herkömmlichen Büchern und Methoden ist hier nichts zu erreichen. Worte, Begriffe und Situationen. die nicht in der Erfahrungswelt der Kinder liegen, sind ungeeignet beim Lernen von Lesen und Schreiben.

Stattdessen werden Schlüsselwörter gesucht, die im Interesse der Kinder liegen, mit denen sie etwas anfangen können, die etwas mit ihnen und ihrer Familie zu tun haben. Mit Hilfe dieser neuen Pädagogik, auch Befreiungspädagogik genannt, wurden 1985 fast alle Erstkläßler versetzt. Zuvor waren 50 % Sitzenbleiber nichts Ungewöhnliches.

Deutsche Paten ermöglichen die Ausbildung von Kindern in der Tagesstätte

Ein geregelter Schulunterricht ist wegen der ungeordneten häuslichen Verhältnisse sehr erschwert. Viele Kinder kommen nicht täglich, sei es, daß sie auf jüngere Geschwister aufpassen müssen, wenn die Mutter arbeitet, sei es, daß sie keine Wäsche zum Wechseln haben, wenn diese naß geworden ist. Da es im Süden des Landes häufig regnet, ist das kein Ausnahmefall. Derartige – wie es scheinen will- nichtige Probleme sind vor Ort von großer Bedeutung.

Berufsvorbereitende Kurse sollen Zukunft sichern

Das gilt auch für die Tatsache, daß manche Kinder plötzlich gar nicht mehr in die Tagesstätte kommen, wenn ihre Mütter zu einem anderen Mann in eine andere Gegend ziehen oder wenn die Kinder früh gezwungen sind, mitzuverdienen; schlimmstenfalls, wenn die Mädchen durch Prostitution zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen oder die Jungen zum Betteln und Stehlen geschickt werden. In Säo Paulo oder Rio de Janeiro werden Kinder sogar zum Stehlen „gemietet“.

Dies alles geschieht im Kampf ums nackte Überleben, um ein wenig Geld für Lebensmittel zu verdienen. „Ich möchte das Recht, Kind zu sein“, heißt es in dem Lied, das uns die Schüler von Santa Fé gesungen hatten. Wie lange werden Brasiliens Kinder warten müssen, bis ihnen dieses einfachste Recht gewährt wird?

Um den geschilderten Entwicklungen vorzubeugen, legt man in der Tagesstätte von Santa Fé besonderen Wert auf die berufsvorbereitenden Kurse. In verschiedenen Gruppen werden erst einfache Handwerksfertigkeiten erlernt. Da wird getischlert, geschneidert, gestickt, gekocht, die Jugendlichen können an einem Schreibmaschinenkurs teilnehmen oder im Garten Gemüseanbau lernen. Einige der Arbeiten werden auf Basaren verkauft und der Erlös wird an die Jugendlichen verteilt.

Diese wenn auch kleine Verdienstmöglichkeit spornt sie an und sorgt dafür, daß sie es nicht vorziehen, dem Unterricht fernzubleiben, um auf der Straße auf irgendeine Weise Geld zu verdienen.

Die Freude an ihren Arbeiten, der Eifer und die Ernsthaftigkeit kann man an den Gesichtern der jungen „Handwerker“ ablesen. Sie wissen, worum es geht – um ihre Zukunft. Ihre Chancen für die Aufnahmeprüfung bei der staatlichen Berufsbildungsinstitution SENAI erhöhen sich, je intensiver sie die ihnen angebotenen Möglichkeiten in der Tagesstätte nutzen.

Die Ordensschwestern haben ein klares Ziel; sie möchten die ihnen anvertrauten jungen Menschen in ein geordnetes Ausbildungsverhältnis oder eine Berufstätigkeit hineingeleiten. Auf diese Weise sollen sie davor bewahrt bleiben, zu den 86 % arbeitenden Minderjährigen Brasiliens zu zählen, die ohne Arbeitspapiere tätig sind. Kinder zwischen 10 und 14 Jahren bilden immerhin 1/4 der brasilianischen Arbeitskraft.

Neben der Förderung von Kindern und Jugendlichen hat in Santa Fé die begleitende Familienarbeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die Schwestern kümmern sich zunehmend auch um die Mütter. Von 6 bis 8 Frauen, die in einer Straße wohnen, wird eine ausgewählt, in der Tagesstätte ausgebildet und aufgefordert, das Gelernte an die anderen Frauen weiterzugeben. So spricht man mit ihnen über Ernährungs- und Erziehungsfragen, über Sexualität und Familienplanung, über Hygiene und Krankenpflege. Spenden von UNICEF fließen insbesondere in diese Maßnahme, die dazu beitragen soll, die häuslichen Verhältnisse ein wenig zu verbessern und zu stabilisieren.
Auf meinem Weg durch Brasilien besuche ich noch vier weitere Projekte zur Hilfe von Kindern. Der Kampf mit bzw. gegen das Elend ist überall ähnlich, ob in Ceilândia, der Slumstadt vor den Toren der Hauptstadt Brasilia, oder im Norden des Landes in und um Recife, dem Venedig Brasiliens.
Es widerstrebt mir, die Not in verschiedene Grade einzustufen, und dennoch – im Nordosten des Landes begegnet sie dem Besucher noch krasser, noch grausamer, noch hoffnungsloser.

Menschlichkeit in einer unmenschlichen Situation

So zum Beispiel in der Stadt Jaboatao, 20 km von Recife entfernt im Bundesstaat Pernambuco. Die Stadt leidet unter der höchsten Arbeitslosenrate aller brasilianischen Städte. 60% der Bewohner leben in Favelas. Dort sind 51% der Männer arbeitslos. 92 % verdienen weniger als einen Mindestlohn, 79 % der Mütter sind Analphabeten, 42% haben 4-6, 38% 7-12 Kinder.

Die Stadt ist von einer hohen Kriminalität betroffen, vom einfachen Diebstahl bis zum Mord. Bereits mit 5 Jahren helfen die Kinder beim „Geldverdienen“ durch Betteln, Diebstahl, Verkauf von Eis und anderen Dingen.

Hier gibt es Menschen, die sich selbst das Leben im Slum nicht „leisten“ können. Sie ziehen vor die Tore der Stadt und vegetieren am Rande von Mülldeponien. Dort warten sie tagsüber auf die ankommenden Müllautos, stellen sich beim Entladen so dicht hinter die Wagen, daß der Müll auf sie nieder geht. Jeder möchte der/die Erste sein, um sich etwas zum Essen herauszupicken oder um Materialien zu finden, die wiederverarbeitet werden können.

Neben den Menschen sitzen zahlreiche schwarze Geier auf der Suche nach etwas für sie Brauchbarem. Dieses Nebeneinander von Mensch und Tier ist ein Eindruck, der mich wohl nie mehr verlassen wird. Während ich auf der Mülldeponie im Schlamm stehe und dieses grauenhafte Geschehen verfolge, gegen Ekel (es stinkt bestialisch) und Tränen kämpfe, frage ich mich, warum diese Menschen mir nicht Handtasche und Fotoapparat wegreißen. Nichts dergleichen geschieht, stattdessen lächeln mich einige Kinder an. Diese Menschlichkeit in unmenschlichster, menschenunwürdiger Situation berührt mich zutiefst.

„Ich möchte das Recht, Kind zu sein . . .“, geht es mir wiederum durch den Kopf. Hier sehe ich Menschen, die noch nicht einmal das Recht zu haben scheinen, Mensch zu sein. Ganz zu schweigen von dem Recht, Kind zu sein.

Darum verstehe ich diejenigen Männer und Frauen in den Kirchen Brasiliens, die sich zum Mund dieser Stummen, Entrechteten und Gequälten machen, die für eine Befreiung von Millionen von Menschen aus dem Elend kämpfen. Darüber, daß sich die Kirche auch politisch einmischen muß, besteht bei allen Geistlichen, die ich im Lande spreche, große Einigkeit.

Landreform für mehr soziale Gerechtigkeit

„Wir unterscheiden nicht das Leben und den Glauben“, erklärt der Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz, Paulo Enest Crespo, und er fährt fort: „Wer Land besetzt, geht davon aus, daß alles Land Gott gehört, also allen Menschen.“

Auch die evangelisch-lutherische Kirche erklärte die Landfrage seit 1978 zur Priorität. „Gottes Erde – Land für alle“ ist ein Motto, mit dem sich die Lutheraner für eine Landreform einsetzen. Dabei ist an eine Enteignung brachliegender Ländereien einiger Großgrundbesitzer gedacht, um dort „Landlose“ anzusiedeln, so daß sie sich mit kleinen landwirtschaftlichen Betrieben selbst ernähren können. Auf diese Weise soll das Land „sozial“ genutzt werden und Spekulationen unmöglich gemacht werden. Über eine Million Unterschriften haben die Kirchen für ihre ganz konkreten Vorschläge für eine neue Verfassung gesammelt. Ein deutliches Anzeichen dafür, daß das politische Bewußtsein der Christen zugenommen hat.

Die Regierung jedoch zeichnet sich durch Tatenlosigkeit, hohle Absichtserklärungen im Blick auf die Landreform und Verfassungsänderung aus. Korruption und Klientelwesen blühen wie einst unter den Militärs. „Unsere Demokratie ist Illusion“, erklärt Pastor Silvio Schneider, Kommunikationssekretär der evangelischen Kirche. „Die Elite hat die gesamte Wirtschaft in den Händen und wehrt sich gegen jede Verfassungsänderung. Dadurch nimmt die Einkommenskonzentration weiter zu“, schildert der engagierte Kirchenmann die hoffnungslose Situation.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche Gründe und Ursachen es für die sogenannte „Theologie der Befreiung“ in Brasilien gibt. Wer könnte nicht verstehen, daß angesichts der geschilderten Verhältnisse Theologen wie der bekannte Dom Helder Camara sich für eine Veränderung der Gesellschaft einsetzen, gegen die „Klasse der reichen Großgrundbesitzer“ kämpfen und die Menschen im Elend aus der Unterdrückung und Ausbeutung befreien möchten? Knechtschaft und Sklaverei sind in Brasilien vor erst 100 Jahren abgeschafft. Sie treten heute in neuem Gewand wieder auf den Plan. Das muß jeden Christen auf die Barrikaden bringen.

Glaube und Tat müssen Hand in Hand gehen

„Jesus Christus ist anwesend in den Gesichtern der Minderjährigen und ausgebeuteten Menschen in unserem Land“, sagt uns der 25jährige Geschichtslehrer Joao Estevao da Silva in Pesqueira, 230 km von Recife entfernt. Er hat mitgeholfen, auf einer Müllkippe ein Stadtviertel mit festen Häusern zu errichten. Auch er gehört zu denjenigen, die sich gleichzeitig für eine Veränderung der äußeren Verhältnisse und eine Veränderung des Herzens durch den christlichen Glauben einsetzen.

So gewinnt man den Eindruck, daß überall dort, wo Glaube und Tat Hand in Hand gehen, segensreiche Arbeit getan wird – eine Arbeit mit Zukunft und für die Zukunft Brasiliens.

Die Leiterin der Tagesstätte in Ceilândia, Schwester Hulda Hertel, faßt diesen Grundsatz ihrer Arbeit überzeugend zusammen:

„Materielle Hilfe allein nützt nicht viel, den Menschen muß geistlich geholfen werden. Es nützt nichts, mit der Bibel unter dem Arm zu den Leuten zu kommen, wenn sie einen leeren Bauch haben. Aber es nützt auch nichts, ihnen Reis und Bohnen zu geben, wenn man ihnen nichts von Jesus Christus sagt. Geld kann momentan helfen; aber was nützt das Materielle, wenn sie kein ewiges Leben haben? Dieses ewige Leben müssen sie schon hier auf der Erde kennenlernen.“

Was wir tun können

Patenschaften für Kinder aus der Dritten Welt vermittelt die „Kindernothilfe Duisburg“. Anschrift: Düsseldorfer Landstraße 180, 4100 Duisburg 28. Für einen monatlichen Beitrag von 50 Mark kann ein Kind ernährt werden, im Heim wohnen, bekommt Kleidung und einen Ausbildungsplatz. Alle Banken, Sparkassen und Postämter haben unter 454545 ein Spendenkonto (Stichwort „Brasilien“) eingerichtet.

Diese Kinder freuen sich über Post von ihren deutschen Paten, die ihnen mit fünfzig Mark im Monat eine hoffnungsvollere Zukunft weisen.

Schwester Hulda Hertel – sie ist vielen Kindern ein fester Anker, eine liebevolle Ersatzmutter, die immer für sie da ist.